Vorbemerkung

von Susanne Müller-Hanpft

Im März 2021

In Erinnerung an Martinus Jan Petrus Bosboom

7 November 1935                 24. März 2017

Martin Bosboom

1996 legten Martin Bosboom und ich eine „kurze Darstellung der Arbeit von Focus Film Frankfurt“ vor.  Es war eine erste Bilanz  von 18 Jahren gemeinsamer Arbeit für das öffentlich-rechtliche deutsche Fernsehen, eine Dokumentation der Personalunion von „Kameraauge und Sprachkompetenz“, wie Kritiker später anmerkten, das Ergebnis unseres Ringens um Wahrhaftigkeit, um inhaltliches Engagement und künstlerisches Niveau im Dokumentarfilm.

1978 hatten wir Focus Film Frankfurt als GBR gegründet. Ich arbeitete als freiberufliche Autorin und Realisatorin in Presse, Funk und Fernsehen.  Martin Bosboom kündigte seine Festanstellung als Erster Kameramann beim Hessischen Rundfunk. Er hatte an den anspruchsvollsten, intellektuell wie künstlerisch herausragenden Produktionen des Senders verantwortlich mitgewirkt, aber er entschied sich für die Unabhängigkeit, für die Freiheit an Stelle der Sicherheit.

In den folgenden Jahren erhielten wir Aufträge zur Herstellung von Filmen aus den verschiedensten Genres von diversen Sendern  der ARD, vom ZDF und später von Arte.

Wir waren aus heutiger Sicht durchaus erfolgreich. Dennoch hatten wir 1966, vor einem Vierteljahrhundert, das Gefühl,  eine Ära sei zu Ende gegangen. 

Wir begründeten unseren Rückblick:

„Wir erleben eine Revolution im Bereich der Kommunikation, die in ihrer Dynamik, in ihren gesellschaftlichen Konsequenzen und in ihrer wirtschaftlichen und politischen Brisanz nur mit der Gutenbergschen Erfindung des Buchdrucks im 15. oder der Industrialisierung im 19. Jahrhundert zu vergleichen ist.“

Die unüberschaubar werdende Vielzahl an Programmangeboten kommentierten  wir damals:

„ In diesem Labyrinth sind Filme wie die unseren schwer aufzufinden, zumal man sie schon seit längerer Zeit in eine Nacht- und Nischenposition gestellt hat. Filme, die versuchen in ruhigen Bildern und leisen Tönen zu informieren, anzuregen, zur Nachdenklichkeit zu animieren, auf vordergründige Effekte und Schocks zu verzichten und behutsam atmosphärisch und aufklärerisch zu wirken.“

Die 1996 als Broschüre vorgelegte Sammlung  mit dem Titel“ Fragen stellen an die Wirklichkeit“ wurde zehn Jahre später zur Grundlage unserer Website.

Aus der Rückschau betrachtet, erscheint unser Internetauftritt von 2004, als wäre er schon damals ein Abgesang auf unsere Arbeit als Dokumentafilmer für das öffentlich-rechtliche Fernsehen gewesen.

Die Medienwelt, wie wir sie kannten, die uns geprägt hat und die wir ein wenig mitprägen konnten, war untergegangen. Ein zunächst schleichender Prozess nahm rasant Fahrt auf, kulturell anspruchsvolle Filme wurden erst ins Nachtasyl verbannt, dann wegen mangelnder Zuschauerzahlen ganz eliminiert. 

Ob „Theaterwerkstatt“ beim ZDF oder „Schauplatz der Geschichte“ bei der ARD, ob Literatur, Reportage , Gesellschaftskritik – alle Formate, für die wir 30 Jahre lang gearbeitet hatten, verschwanden.

Krimis und Kochshows, Quizsendungen und Talk dominieren seither die Programme.

Die älteren Zuschauer, auch viele unserer Zuschauer, wandten sich enttäuscht vom Fernsehen ab, die Jungen stiegen gar nicht erst ein, sie bedienen sich im Internet.

Streamingdienste, digitale Plattformen sind an die Stelle von Fachredaktionen getreten.

Die Dynamik dieser Entwicklung scheint nicht zu bremsen zu sein.

Aber es gibt auch eine andere, entgegengesetzte  Tendenz.

Focus Film Frankfurt erreichen  in der letzten Zeit vermehrt Anfragen nach Kopien unserer „alten“ Filme, aus den unterschiedlichsten Motiven, aus Forschungsgründen oder privaten Interessen.

Unsere Filme, die sich oft mit Geschichte auseinandergesetzt haben, sind ihrerseits historisch geworden. Es sind Filme, die Probleme der achtziger und neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts  thematisieren – Umweltfragen, Denkmalschutz, Gesellschaftskritik, der Umbruch in der DDR,  dann die Konflikte unserer östlichen Nachbarländer nach der politischen Wende, Bulgarien, Albanien, Makedonien, Slowakei usw. –

Filme, die, wie man mir immer wieder sagt, in dieser Form nicht mehr produziert werden, Filme der leisen Töne und der ruhigen Bilder, der Neugierde aufs Atmosphärische und der behutsamen Fragen an Stelle forscher Antworten.

Der Fortschritt der digitalen Technik ermöglicht es heute, unsere Filme online zu stellen, und dies in ganzer Länge.

Deshalb habe ich mich entschlossen, dreissig unserer Filme zugänglich zu machen.

Ich habe sie ausgewählt nach den Kriterien ihrer gesellschaftlichen Relevanz und ihrem formalen Niveau. Es sind Filme, die unseren Stil, unsere „Handschrift“  bezeugen und immer wieder aufs Neue Martin Bosbooms Könnerschaft an der Kamera belegen.

Die Neuausrichtung dieser Website hat das Ziel unsere Arbeiten vor dem Vergessen zu bewahren, sie interessierten Zuschauern zu präsentieren und sie damit als Dokumente der Erinnerung für die Zukunft zu öffnen und zu erhalten.

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